Photo: Andreas Hasenkamp
Tonwelten: Ascheberg / Everswinkel / Heiden / Nordwalde / Münsterland
Four pieces created with sounds from the towns of Ascheberg, Everswinkel, Heiden and Nordwalde, located near the city of Münster, Germany. A fifth piece - Münsterland - combines elements of the other four to create a narrative for the larger Münsterland area. The works were commissioned by the Tonwelten Festival, and were premiered August/September 2023. The field recordings were made by Nils Mosh.
The pieces are part of the Radio Panspermia project, which allows synced multichannel sound to be transmitted over the internet, to smartphones and other devices.
Tonwelten Begleitheft (Excerpts)
Einführung: Mirijam Streibl, Eicke Riggers
Es donnert. Ich fürchte um meine Lautsprecher und die Oh- ren derjenigen, die diesen Klang später auf Kopfhörern hören werden. Und ich bin beeindruckt. Die Klangfahne der Kano- ne des Böllerkommando Heiden hallt noch nach, mischt sich mit den leisen Rufen von Schleiereulen. Und mir wird lang- sam klar, dass da etwas Besonderes passiert. Nämlich: dass diese Suche nach der Klanglandschaft des Münsterlandes etwas zum Vorschein bringt, das so zuvor tatsächlich nicht er- Kennbar war (und damit auch weit weg bleibt von Kitsch und Lokalkolorit). Dass da eine zweite Landschaft aufscheint, die uns oft verborgen beibt: ein akustischer Raum quer durch das Münsterland, der ganz präsent scheint und zugleich erst in mühsamer Arbeit erschlossen werden muss.
Wie klingt sie, diese Landschaft? Äußerst vielfältig, ein- drücklich und oftmals überraschend. Vom Ruf der Vögel bei Morgengrauen über das leise Ticken pflanzlicher Fotosynthe- se bis zum Kanonendonner hat der Field Recordist Nils Mosh in 102 Stunden Audiodaten eine enorme Bandbreite an Klang- material gesammelt. Diese Aufnahmen machen eine manch- mal ignorierte, manchmal auch nur vorübergehende Welt erlebbar. Die klangliche Vielfalt in Ascheberg, wenn das Dau- errauschen der A1 durch eine Sperrung kurzzeitig verstummt;das Klackern der Webstühle in Everswinkel; die Maschinen der Firma Trendelkamp in Nordwalde und das Rotieren der Windräder bei Heiden. Das Münsterland klingt aber auch so, wie die Menschen vor Ort es hören. Hier scheinen ganz individuelle Perspektiven auf den umgebenden Klangkosmos auf, die die Sammlung vor Ort sehr bereichert haben.
Wir hatten es uns zur Aufgabe gemacht, das Münsterland abseits der gewohnten Pfade zu erkunden. Nicht auf die be- kannten Postkarten-Motive zu schauen, sondern den Modus der Wahrnehmung und zugleich das Sujet zu wechseln. Wir wollten beim Ort beginnen, nicht beim Veranstaltungsformat oder beim Medium. Wir haben hingehört, nachgefragt, aufgenommen.
Und haben viel mehr gefunden als ”nur” Klänge. Menschen, die den Klang der Orte, an denen Sie leben, als bedeutend und unverwechselbar wahrnehmen. Vielleicht war dies die größte Erkenntnis: dass es nicht viel braucht, um diese Sensibilität für das zu wecken, was uns umgibt. Dass das Fraegn und Hin- hören im doppelten Sinne eine soziale und kulturelle Resonanz finden, die beeindruckend ist. Wir freuen uns, dass wir die Akteurinnen und Akteure, die Sie in diesem Heft kennen- lernen, diese Sammlung und ire anschließende Verwandlung mit großer Sensibilität, Offenheit und Hingabe ermöglichen.
Wandelnde Lautsprecher
Hans Tammens Klang-Installationen für tonwelten
Hans Tammen komponiert hörbare Kunstwerke. Für tonwelten entwickelt er fünf Klang-Installationen und nutzt dabei ausschließlich Material, das vor Ort aufgenommen wurde. Mit Hilfe des eigenen Smartphones oder Tablets werden die BesucherInnen dann selbst zum Lautsprecher. Die Software BBC Audio-Orchestrator" erlaubt es, Musikstücke für viele verschiedene Abspiel-Geräte bzw. Stimmen zu komponieren, die dann gemeinsam erklingen. Diese ,interaktive Mehrka- nal-Klang-Installation" funktioniert so am Ende in etwa wie die Instrumente in einem Orchester.
Selbst Teil der Klanglandschaft werden
Tammens Installationen setzen die Klang-Sammlung neu in Szene. Seine Arbeit zeugt von einer großen Liebe zum Ge- räusch. Wenn das Rollen der Kanone sich mischt mit dem Klappern der Störche; wenn nicht mehr wahrnehmbar ist, ob es sich um Vogelzwitschern oder Maschinenlärm der nahege- legenen Fertigungshalle handelt dann wird Geräusch zum Sound. Rhythmisch und klanglich und immer auch räumlich: so wandert das Muhen der Kühe von einer Stimme zu nächsten, Töne und mit ihnen das Publikum werden zu Satelliten, die den Raum erfüllen. Für die Hörenden geht es nicht mehr nur darum, das Gewohnte ,,richtig" zu hören und wieder zu entdecken. Vielmehr wird es durch die Installation möglich, einen neuen, einen anderen Zugang zur Klanglandschaft der eigenen Heimat zu finden. Die Verfremdung in der Installation sensibilisiert das aufmerksame Hören wir werden empfänglicher für die Klänge unserer Umgebung. Die Möglichkeit, selbst Teil des Werkes zu sein, intensiviert diese Erfahrung. So entsteht eine vielschichtige gemeinsame Bewegung durch einen"Klangraum", an der alle Anwesenden teilhaben.
An besonderen Orten
An jedem der tonwelten-Tage wird eine Installationen erlebbar. Fünf Tage, fünf verschiedene Installationen, fünf beson- dere Orte: in der illuminierten Schwimmhalle in Nordwalde, dem alten Spieker in Ascheberg, dem Volksbank-Foyer in Heiden, dem Rathaus in Everswinkel. Den Abschluss bildet die Synopsis in der beeindruckend schönen Bibliothek des Philosophicums in Münster am 16. September.